Zwei Tage in der Glarner Bergwelt

Hanspeter Nef

18. – 19. Juli 2024

Glarner Kisten und Bänder

Wer die edle Glarner Pastete kennt und schätzt oder auch nur Glarner Schabzigerstöckli, wird sich fragen, was es mit Glarner Kisten und Glarner Bändern auf sich hat. Um das zu erfahren, waren wir zwei Tage mit Adrian Wehren unterwegs, der Jahrzehnte in Glarus gelebt hat und die Glarner Bergwelt als Basler besser kennt als die meisten Glarner. Ich traute mir die Tour zu, weil wir einerseits per Taxi von Bahnhof Tavanasa im Bündner Oberland bis auf die Alp Quader (1886 m) befördert wurden und anderseits per Luftseilbähnli vom etwa gleich hoch gelegenen Limmeren-Stausee hinab ins abgeschiedene Tierfed im Fels-Kessel, aus dem die Linth befreit in Richtung Walensee zieht.

Nun der Reihe nach: Die 500 Hm von der Alp Quader zur Bifertenhütte schaffen wir trotz ansehnlichen Rucksäcken problemlos, dank zweimaliger Rast in alpiner Blumenpracht. Die Hütte war, als ich vor 65 Jahren zum ersten Mal vom Tierfed über den Kistenpass zog, geschlossen – für mich und meine Kameraden Gelegenheit zum ersten alpinen Biwak. Sie wurde unlängst umgebaut, vergrössert und bietet einen angenehmen Aufenthalt.

Doch wir haben noch den Hausberg vor, der aus riesigen Schutthalden herausragt: das 2745 m hohe Kistenstöckli. Gern entlasten wir uns von allem Überflüssigen und ziehen über die Schutthalden zum bizarr aufragenden, schmalen Südgrat hoch, dessen zahllose Löcher an Bienenwaben erinnern. Kaum zu glauben, dass der Berg oben flächig sein soll. Der viel begangene Aufstieg verläuft durch die Westseite. Erstaunt steht man dann auf der nur leicht geneigten Gipfelplatte, die geradezu aufgeräumt erscheint: Fleissige Hände haben Dutzende Steinmänner aus dem herumliegenden plattigen Material aufgeschichtet, zwischen denen man verwundert herumgeht und hinunter in die Täler schaut. Nach dem üblichen Gipfel-Raten hinab zum Fuss des Südgrats und einen guten Kilometer in Richtung Bifertenstock. Adrian erkundet, wie wir morgen in der fast weglosen, steilen SW-Flanke zum Rest des einstigen Limmerenfirns gelangen könnten, der den gleichnamigen Stausee speist. – Dann zurück zu Speis und Trank und einem gemütlichen Hüttenabend.

Nach ausgiebigem Frühstück mit schmackhaftem Hütten-Brot machen wir uns auf den Weg hinauf zum Grat zur erkundeten Einstiegstelle in die steilen Firn-Bänder, die zwischen Felsstufen die Bergflanke durchziehen. Was gestern ziemlich bedrohlich aussah, erweist sich als machbar; wir haben ja Pickel und Steigeisen dabei. Mehr als einen Kilometer geht’s leicht auf und ab, um rutschige Schotterpartien zu vermeiden, immer brav den linken Fuss höher, den rechten leicht auswärts tiefer plazierend. Endlich geht’s auf dem ersten durchgehenden Firnfeld hinab zu den Gletscherresten. Das Gurgeln der Gletscherbäche darunter mahnt aber zur Vorsicht. Wir verlassen uns im weglosen Gelände lieber auf Fels und Schutt. Nur: Steinmänner sind hier oben noch keine entstanden, weil die Route nur selten begangen wird, von Jägern vielleicht.

Adrian verlässt sich auf sein Gespür. Gestern hat er ein rotes Zeichen neben einem Bach unmittelbar über einer Steilstufe geortet. Und da sind endlich ein paar Steinmänner, die uns dorthin führen. Die Steilstufe ist gewaltig. Drei Wasserfälle stürzen über sie hinab in die Tiefe. Ein roter Pfeil weist uns nach rechts, und da sind auch schon die Ketten, die uns durch die Wand hinab zum Schuttkegel führen. 50 m über dem Seespiegel führen Spuren in die steile Talflanke über dem See. An wenigen Stellen sind Wegspuren erkennbar, aber man erkennt bald, dass uns noch allerhand an Auf und Ab bevorsteht. Die Vegetation ist bis über kniehoch. Mehrere Male geht’s in steile Schluchten hinein und wieder hinaus, mit eindrücklichen Tiefblicken auf den See. Doch wo Fels ist, finden sich auch Ketten. Obendrein sind wir ja recht trittsicher. Nur der Himmel hat sich verdunkelt und bewässert nicht nur die üppige Vegetation. Doch der Tunnel rechts vom Staudamm ist nicht mehr fern; ab dort kann uns das Wetter egal sein. Gut 2 ½  km ist der Tunnel lang, gut beleuchtet, so dass man die vielen Pfützen (meist) rechtzeitig erkennt. Seltsames Gefühl – man hört nur allerorten Wasser tropfen, Ventilatoren brummen und die eigenen Schritte klappen oder platschen und Stimmen hallen. WC in der Stollenmitte. Dann die zweite Hälfte. Eine Tür führt ins Freie. Hu! Wie gut das tut! Und da gleich die Kabine; Platz für acht. Knopf drücken. Anweisungen hören. Tür zu. Wie das hinuntergeht – bzw. die Bergriesen wachsen! – Vielen Dank, Adrian!