Überraschung im Bündnerland

Text: Hanspeter Nef
Bilder: Teilnehmende

14. bis 16. Februar 2025

Überraschung im Bündnerland

In diesem bisher schneearmen Winter ist unschwer vorstellbar, was für Überraschungen Tourengänger erwarten. Schwieriger, angenehme zu finden. Davon soll hier die Rede sein.

Tag 1: (Fast) Giraspitz (2185 m)

In weiser Voraussicht haben Vreni und Patrick entschieden, unsere erste Tour ins Prättigau zu verlegen, da Davos und Umgebung kaum vom reichlichen Neuschnee erhalten hätten, der uns die Hinfahrt erschwert. Schon am Stoss sind zwei LKW mit Heimatort Altstätten über die ganze Strassenbreite so miteinander beschäftigt und verhängt wie zwei Verliebte in ihrer stürmischsten Phase. Ein Traktor greift tatkräftig ein wie ein Brautvater, der sich Ärger ersparen möchte. Er schafft’s. Weiter geht’s auf die Autobahn. Mehrmals sehen wir auf der Gegenfahrbahn LKW-Unfälle, hinter denen sich motorisierte Riesenschlangen mit Wachstumspotential aufgestaut haben. Wie soll da die Polizei auch nur eingreifen, geschweige denn durchgreifen können? Aber wir sind noch unbehindert auf unserem Weg. Im Prättigau nur wenig Neuschnee, wie befürchtet. Linkerhand viel mattes Grün. Schattseitig hinauf nach Conters. Start auf einem steilen Strässchen, auf dem immerhin schuhtief Neuschnee liegt. Ein Traktor, der den weissen Flaum resolut wegräumt, schnaubt uns aus dem Dorf hinaus. Unter Vrenis Führung geht’s flott in die Höhe. Sie spurt im pulvrigen Weiss, das schon nach wenigen hundert Metern Höhe 20 – 30 cm hoch auf dem Altschnee von Tourenfahrern träumt. Nach einer langen und recht breiten steilen Waldschneise über die Waldgrenze; nach 750 Hm verdiente Mittagsrast auf einer Alp. Rasch ziehen die Wolken über uns, und die Bise ruft sich in Erinnerung, auch wenn wir im Windschatten rasten. Die Lawinengefahr wird von unseren Chefs evaluiert. Während wir weiter aufsteigen, ziehen immer wieder Wolken auf, die unseren Gipfel verhüllen. Anderseits ist der Blick talwärts unbehindert und lädt geradezu ein, bald an die Abfahrt zu denken, solang die Verhältnisse noch so günstig sind. Die Abfahrt, nicht der Gipfel ist das Ziel. Und in der Tat: Für mich folgt die schönste Abfahrt des bisher knausrigen Winters. Wir ziehen fast die ersten Spuren in den Neuschnee. In der Waldschneise wird’s etwas schwieriger. In meinem Alter leiste ich mir den Luxus, wo meine Beine sich das wünschen, auf dem Alpsträsschen abzufahren.

Hinauf nach Davos. Die Ortsdurchfahrt muss man sich verdienen. Reichlich Zeit, die schneefreien Sonnenhänge zu begucken, die so gar nicht nach Winter aussehen. Wo Davos sich ausdünnt und da und dort ärmlicher aussieht, schattseits abzweigen und hinauf nach Monstein (1626 m). Quartier im «Ducan». Freundlicher Empfang, komfortabel ausgerüstetes Lager im UG, vorzüglich essen und trinken.

Tag 2: Büelahorn (2607 m)

Als wir nach langem Anmarsch auf dem Waldweg aufsteigen und von einer Alp auf den Osthang unseres Tagesziels blicken, ist dieser schon von Dutzenden Spuren durchpflügt. Doch es gibt auch noch manche un- oder weniger befahrene Hänge. 300 Hm nahrhafter Aufstieg in einer fast wild gezackten Spur (die wir vor Jahren Österreicher Spur genannt hätten) stehen wir auf einem Grat, den wir etwa 20 Min. lang bis zum unspektakulären Gipfel verfolgen. Wahre Freude, in die Runde der zahllosen Gipfel zu schauen.

Gern lassen wir die warme Sonne auf uns wirken, auch wenn ab und zu ein giftiges Lüftchen den Genuss stört. Unsere Experten sind sich einig, möglichst über die wenig oder unberührten Steilhänge abzufahren, wie wir das auch bei unseren Vorgängern beobachtet haben. Erfreulich, dass der Schnee sogar in SO-Hängen noch pulvrig ist. Mir machen da und dort die unter dem Pulverschnee verfestigte Schwünge im Altschnee zu schaffen. Nach einem Sturz helfen mir gleich zwei Kameraden wieder auf die alten Beine. Trotzdem: was für ein Fahrvergnügen! Ausgiebige Mittagsrast auf der Alp Maschenboden. «Ausplampen» im weniger steilen und offenen Gelände und auf dem Waldsträsschen, das uns nach Monstein zurückführt. Ein Stündchen plaudern in der Nachmittagssonne, während sich unsere Gläser wie von selbst leeren. Vorfreude aufs Abendmahl (-essen wäre zu bescheiden für was uns aufgetischt wurde).

Tag 3: Bodma (2511 m)

Der Tag, obwohl erneut recht sonnig, steht unter dem schattigen Motto: Wie den Staukolonnen am Sonntagnachmittag entkommen? Das Wort frühstücken sagt, was dazu beitragen kann. Und weiter kommt der Geheimtip eines Bekannten, der gestern abend gerühmt hat, er habe nur gerade 5 Spuren am Bodma gesehen, gerade recht. Denn der Name Bodma findet sich nicht in der Landeskarte, nur die Höhenangabe, und schliesslich ist er für eine Halbtagestour ideal nahe gelegen. Der Aufstieg gliedert sich in drei Abschnitte: Von der Sägerei am Inneralp-Bach geht’s auf einem teils spärlich mit Schnee bedeckten Alpsträsschen in zahlreichen Kehren im Bergwald hoch, bis dieser auflockert und Vorgängerspuren im weglosen Gelände ziemlich steil zur 2150 m hohen Alp Bodmen führen. Da gönnen wir uns eine Rast in der Morgensonne. Nun steilt sich der Gipfel auf. Wohl kaum einer ahnt, dass zu unserer Rechten eine stillgelegte Silbermine verborgen ist, die nur noch ein paar Ortsnamen bezeugen. (Das erinnert mich daran, dass ich vor Jahrzehnten mit einem kundigen Kollegen in einer anderen Silbermine dieser Gegend in finsteren, abschüssigen Gängen mit staubbedeckten Stützkonstruktionen herumgeisterte).

Gipfelwärts gewinnt die Schnauferei wieder Oberhand. Ich schaff’s zwar noch, aber spüre meine Jährchen überdeutlich. Doch auf dem Gipfel überwiegt die Freude, den inneren Sauhund erneut gebändigt zu haben. Die Abfahrt gönnt uns oberhalb der Waldgrenze so viel grosszügiges Kurven im Pulverschnee, dass mehrere in lautes Gejauchze ausbrechen. Selbst die weglose Waldpartie macht’s uns nicht allzu schwer. Ein paar Stürze sind bald vergessen. Und da ist auch schon das Waldsträsschen. Die vordersten verpflichten sich, an den Stellen, wo Steine im spärlichen Schnee auf unsere Laufflächen lauern, «Mahnwache» zu stehen. Das klappt gut; es geht trotz häufigem Stemmen zügig hinab. – Am frühen Nachmittag zurück im Dörfchen. Ski und Gepäck verladen, und heimwärts geht’s. Problemlos durch Davos, das Prättigau – und schon sind wir auf der Autobahn. Abschiedstrunk in der Raststätte Werdenberg. Mache grosse Augen, als hinter meinem Stuhl ein Roboter warme Speisen zur Kundschaft bringen will und artig wartet, bis ich meinen Stuhl für ihn näher an meinen Tisch rücke. Für mich eine andere Welt.

Vielen Dank, Vreni und Patrick, für Organisation, Umsicht und Führung.